Eröffnungsrede von Carla Habel am 05.03.2017 im Kunstverein Achim
Das Jahr 2017 steht im Kunstverein Achim unter dem Punkt der Fotografie. Fünf verschiedene künstlerische Positionen werden unter dem Jahresmotto „Zeitspiegel – Sichtweisen aktueller Fotokunst“ gezeigt. Die Fotografie war die Entdeckung des 19. Jahrhunderts. In ganz Europa und dem Rest der Welt haben Erfinder mit Chemikalien und Silbersäuren experimentiert, um ein Abbild der Realität direkt auf einem Träger festzuhalten. Kurz nach Bekanntwerden dieser Technik, gab es schon überall in Europa Fotoateliers. Der Boom war riesig, jeder wollte eine Fotografie von sich haben. Lange Belichtungszeiten machten allerdings aus der eigentlichen Aufnahme einen langwierigen Prozess, bei dem man über Minuten stillstehen musste.
Jeder, der es sich leisten konnte ist mit einer Kamera auf Reisen gegangen, hat Fotos aus der Welt mit nach Hause gebracht. Man war nicht mehr darauf angewiesen zum Taj Mahal oder den Pyramiden in Ägypten zu fahren – man konnte sie auf dem Foto einfach betrachten! Die Fotografie als eines der ersten Medien, die die Globalisierung eingeleitet haben.
Heute, ca. 170 Jahre später sieht unsere Fotografie ganz anders aus. Aus großen und sperrigen Kästen sind kleine handliche Fotoapparate geworden. Die analoge Fotografie wurde längst von der digitalen abgelöst. Heute fotografieren die meisten in Bits und Bytes und nicht mehr mit Rollfilm und Dunkelkammer. Die Fotografie war und ist heute immer noch ein Massenmedium – es gibt nicht das Original, sondern lediglich Abzüge. Sofern es sich aber um Kunst handelt, und es steht heute außer Frage, dass die Fotografie auch eine Form der Kunst ist, sind diese Abzüge meist streng limitiert. Und auch wenn es sich bei der Fotografie anders als bei der Malerei oder Bildhauerei um ein Massenmedium handelt, ist dieses Medium trotzdem höchst subjektiv. Es gibt keine objektive Fotografie, genauso wenig, wie es eine objektive Malerei geben kann. Der Fotograf hinter der Kamera, vor dem Computer zur Nachbearbeitung erschafft dieses Bild und gibt somit seinen ganz persönlichen Eindruck und seinen persönlichen Blickwinkel wieder. Nur sind die ästhetischen Möglichkeiten bei der klassischen Fotografie stark begrenzt – ein Spiel mit der Technik: Licht, Tiefenschärfe, Blendenöffnung etc. Anders als die die Malerei, die sich einer ganz individuellen Formensprache und eines individuellen Duktus’ bedient. Die Malerei muss sich immer zu neu erfinden. Die Fotografie ist in ihrer Sprache seit 170 Jahren annähernd gleichgeblieben.
Aber gut, dass wir heute nicht die Eröffnung eines klassischen Fotografen haben. Michael Rippl ist das nämlich genau nicht – und viele der eben aufgeführten Punkte passen nicht auf sein Werk, seine Formensprache und seine Arbeitsweise zu.
Michael Rippl fotografiert nicht mit einer analogen Rollfilmkamera, auch nicht mit einer digitalen Spiegelreflexkamera. Er nutzt für seine Arbeiten eine Polaroid Sofortbildkamera und das schon seit vielen Jahren. Polaroid ist auch schon ein bisschen in die Jahre gekommen – dafür aber seit einigen Jahren wieder bei vielen Künstlern hoch im Kurs. Die erste Sofortbildkamera von Polaroid ging 1948 über die Ladentheke, natürlich noch in schwarz/weiß. Erst 1963 gab es auch Farbfilme. Das besondere an ihr, es gibt kein Negativ. Die Bilder sind allesamt Unikate und damit so ziemlich die einzige Möglichkeit ein Original in der Fotografie zu bekommen.
Vielleicht hat sich gerade deswegen die Technik der Sofortbildkamera schnell zu einem Liebling in der Künstlerschaft entwickelt. Zahlreiche Größen der internationalen Fotografiegeschichte widmeten sich dem analogen Medium, die Namen reichen von Ansel Adams, Sibylle Bergemann und Walker Evans über Gisèle Freund bis hin zu Helmut Newton, Robert Rauschenberg, Oliviero Toscani, Andy Warhol oder William Wegman. Dabei hat die Polaroidtechnik nichts mit der sonst so gewohnten künstlerischen Perfektion zu tun. Die Bilder werden nicht unbedingt scharf, das Licht nicht wie gewollt, ja sie verblassen sogar mit der Zeit und sind damit ein vergängliches Medium.
Die klassische Sofortbildkamera dürfte wohl den meisten bekannt sein. Eine etwas unhandliche Kamera, oben als Aufsatz der Blitz, in der Mitte der Sucher und unten der Schlitz, wo dann das Foto herauskommt. Einfach den Auslöser bedienen, dann kommt das Foto unten herausgefahren. Die Folie abziehen und ein paar Minuten warten. Sie brauchen auch das Bild nicht zu wedeln – das gemachte Bild taucht so vor ihren Augen auf. Das ist möglich, weil jedes Polaroid im Inneren ein komplettes Miniatur-Fotolabor enthält: Die Kamera belichtet eine lichtempfindliche Fläche, beim Ausspucken des Polaroids wird Entwicklerpaste aus den Kammern am unteren Rand des Polaroids gleichmäßig über die belichtete Fläche gedrückt. Doch es gibt diese Zeit, bis das Bild entwickelt und fixiert ist. Und diese Zeit nutzt Michael Rippl, um die Flächen zu bearbeiten. Mit verschiedenen Werkzeugen geht er ans Werk: zieht
tiefe Furchen in das noch nicht fertige, noch nicht fixierte Bild; zeichnet Konturen nach; verwischt die Farben ineinander.
Angefangen hat eigentlich alles mit einer Forschungsserie. Einfach mal schauen, was passiert. Dabei kamen vor allem abstrakte Bilder heraus: Farben und Strukturen überlagern sich. Das eigentliche Motiv des Ausgangsfotos ist überhaupt nicht mehr zu erkennen und hat für das Ergebnis auch keine Relevanz mehr. Alle Bilder mit ihrem ganz eigenen Duktus, einer ganz eigenen Farbführung und Farbintensivität.
Nur wenn Sie ganz genau hinschauen, können Sie auf einzelnen Bildern noch etwas gegenständliches Finden, wie z.B. auf dem Bild mit dem Titel „IV V“. Aus dieser Forschungstechnik hat sich eine ganze Reihe herausgelöst. Diese Anfänge seiner Arbeiten können Sie oben im ersten Stock sehen.
Weitere Experimente sind dazu gekommen: Neben dem Verwischen und verstreichen der Paste, experimentiert Michael Rippl auch mit Schrift. Dafür hat er in seinem Atelier einen großen Drucksetzkasten. Verschiedene Worte, Zahlen und Zitate, wie das berühmte „What you see is what you see“. Auch hier spielt das eigentliche Foto überhaupt keine Rolle mehr. Bei einigen Werken verschwimmen Bildfläche und Druck sogar so stark miteinander, dass man sie nur schwer auseinanderhalten kann. Ein weiteres Beispiel für ein Werk, das eigentlich kaum bis gar nicht als Fotografie erkennbar ist, findet sie auch oben im ersten Stock rechts. Die Bildfläche besteht nur aus blassen Farbfeldern – leichtes gelb und orange. Nachträglich hat Michael Rippl Konturen nachgezeichnet. Durch diesen Eingriff wird dieses Bild auf einmal figürlich, obwohl sichtbar kein Gegenstand abgebildet ist. Und was sehen Sie? Das kommt ganz darauf an, wie sie Ihre Augen stellen. Sie kennen ja sicherlich diese Bilder, die durch eine kleine Umstellung des Auges bzw. durch ein Umdenken im Kopf verändern. Von einer alten zu einer jungen Frau zum Beispiel. Ich möchte Ihnen jetzt nicht vorwegnehmen, was ich dort sehe, sondern bin gespannt, was Sie darin als erstes entdecken. Denn Michael Rippl und ich haben dort verschiedene Sichtweisen…
Jetzt habe ich schon so viel über abstrakte Fotografie erzählt, bei der das Motiv überhaupt nicht im Vordergrund steht. Dabei sind wir doch heute bei einer Eröffnung einer Fotografie Ausstellung. Natürlich gibt es auch Bilder mit Motiv, bei denen das Motiv auch eine Rolle spielt oder zumindest noch als solches erkennbar ist.
Eine ganz besondere Reihe ist „Blick vom Zehner“, sie kann eigentlich beispielhaft für viele der Fotoserien von Michael Rippl stehen. Zu sehen sind verschiedene Szenen aus dem Freibad. Hier wieder ein „aber“: Vielleicht werden Sie diese Szenen gar nicht als solche erkennen. Auch hier hat Michael Rippl nachbearbeitet. Die Farbigkeit und der Charakter der Bilder weisen auf längst vergangenes zurück und lösen bei dem Betrachter direkt eine individuelle Assoziationskette aus. Wir erinnern uns an die Zeit, die wir früher im Sommer im Freibad verbracht haben. Wer traut sich vom Zehner zu springen, wer kneift und klettert wieder nach unten? Die Sonne auf der Haut, der Geruch von Frittenfett und je nach Generation das Eis am Stiel.
Michael Rippl wagt einmal den Blick nach oben. In seiner Springerserie zeigt er in sieben Bildern die Szene auf einem Sprungturm, einem Zehn Meter Turm! Genauso wird aber auch der Blick nach unten gewagt. Vom Turm herunter auf die kleinen Szenen im Schwimmbecken und drum herum.
Wenn wir die Bilder betrachten, glauben wir am Anfang nicht, dass diese Bilder aktuell sind: die Farben, der Duktus – selbst das Motiv wirkt, als hätte Michael Rippl diese Bilder bereits vor 30 Jahren aufgenommen. Und ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber das ist für mich ein Relikt aus alten Zeiten. Die Firma Polaroid ist inzwischen spektakulär insolvent gegangen – der Nachfolger versucht mit der Marke „Impossible“ noch Fotomaterial für die vielen Polaroid Fans herzustellen. Der Name sagt schon alles. Polaroid ist in unserer heutigen Zeit eigentlich obsolet geworden. Die meisten Menschen haben Kameras in ihren Smartphones oder eine Digitalkamera. Das direkte Betrachten des gerade gemachten Fotos, die sofortige Erinnerung an den Moment, überall gegenwärtig. Das was die Polaroidtechnik einst so legendär und einzigartig gemacht hat, ist heute überall. Aber es gibt einen Trend: Den Trend zur Langsamkeit, zur analogen Fotografie, zum konzentrierten Konsum. Nicht 300 Bilder machen, sondern achtsam mit dem Moment und dem Material umgehen. Und damit hat auch die analoge Sofortbildtechnik wieder einen Nischenmarkt inne.
Im Kühlschrank von Michael Rippl lagert noch ein bisschen original Fotomaterial. Leider hat dieses Material keine lange Haltbarkeit. So sehen Sie heute auch Werke, in denen Michael Rippl mit diesem fehlerhaften Material spielt. Bei einem Polaroid gibt es drei Kammern, dessen Inhalt auf das Bildmaterial ausgerollt wird. Kammern können beschädigt sein, die Chemikalien im Inneren nicht mehr in Ordnung, manchmal wird das Material auch nicht
komplett ausgerollt. All das nimmt Michael Rippl hin, experimentiert mit dem Zufall und schafft dabei Werke, von einer ganz besonderen Farbigkeit. Das Diptychon Gina und Robert ist dafür ein gutes Beispiel. Zwei Menschen im Pool, es sieht warm aus. Das blau des Wassers scheint zu verschwimmen, in der Mitte kommt leichtes gelb dazu. Die Farbe des Fotos ist nicht gleichmäßig verlaufen, was den Eindruck des Schwimmens, verstärkt. Nicht nur die beiden Abgebildeten schwimmen – das ganze Bild schwimmt, die Konturen verlaufen und das Motiv flimmert.
Eine Frage stellt sich jetzt zum Schluss: Was ist Michael Rippl eigentlich? Ist er ein Fotograf, weil er ein gängiges Fotomaterial nutzt? Oder ist er nicht vielmehr Maler, der als Malgrund eine Fotografie nutzt?
Sein Material, ist die Polaroid Technik. Über die habe ich Ihnen ja jetzt schon eine ganze Menge erzählt. Das absolute Charakteristikum der Polaroid Fotografie liegt in ihrer Aura des Authentischen. Wenn Sie ein Polaroidfoto sehen, muss es auch genauso wie auf dem Foto gewesen sein. Keine Technik war früher so unmittelbar und trägt heute immer noch diesen Charakter mit sich. Ich habe Ihnen gerade aber einige Beispiele genannt, die diesen Charakter unterlaufen. Und es kommt noch ein wichtiges Element hinzu: Die Werke von Michael Rippl zeigen oft keine realen Abbildungen, zumindest keine, bei der der Fotograf live anwesend war. Michael Rippl nutzt als Quelle für seine Fotografien auch andere Medien: Die Aufnahmen werden am Fernseher gemacht, in seinem Atelier hängt ein großformatiges Foto aus einem Freibad, Gina und Robert kommen aus einem Computerspiel. Die Werke von Michael Rippl sind Fotografien, nur unterlaufen sie unseren eingeprägten Charakter eines Polaroid komplett. Der typische weiße Rahmen weist die Bilder noch eindeutig als Fotografie aus, nur wird der Rahmen hier ab absurdum geführt, weil das was er suggeriert überhaupt nicht im Bild enthalten ist.
Die Bedeutung des Werkes ist im Material inhärent. Das Material von Michael Rippl gibt ihm die Möglichkeiten, die Freiheiten zu probieren, zu retuschieren, zu verändern. Sowohl analog, als auch digital. Seine Arbeitsweise überquert damit an vielen Stellen die Grenze zur Malerei. Und so sind viele seiner Werke an einer Schnittstelle anzusiedeln zwischen Fotografie und Malerei. Meines Erachtens nach ist Michael Rippl ein Grenzgänger. Er nutzt die einmalige Technik des Polaroid aus, dies ist aber nur sein Ausgangsmaterial. Die eigentliche Arbeit
kommt nach dem Fotografieren: Das Bearbeiten, das Schraffieren, das Verfremden, das Drucken… alles Techniken aus der Malerei und Zeichnung. Ein Maler trägt die Farbe auf die auf seinen Malgrund erst auf, Michael Rippl hat sie bereits aufgetragen vor sich. Alles was er dafür braucht und hat, ist ein paar Minuten Zeit, die richtigen Bewegungen und Zufall.
Sichtweisen aktueller Fotokunst – das ist das Motto für 2017. Michael Rippl macht den Anfang und zeigt uns direkt, wie unsere Vorstellungen und unsere Assoziationen mit dem Wort Fotografie verkehrt werden können.
Michael Rippl
Plantage 9
28215 Bremen
0176/61920800
info@michael-rippl.de